Internukleäre Ophthalmoplegie

Die Unterbrechung der MLF im Pons oder Mittelhirn führt zu einer INO, die durch ein ipsilaterales Adduktionsdefizit und einen kontralateralen abduzierenden Nystagmus gekennzeichnet ist (Abb. 15.10 und 15.11, Video 15.1). Die Seite des Adduktionsdefizits bestimmt die Seite des INO.

Symptome. Patienten mit INO können über eine horizontale Diplopie klagen, insbesondere wenn die Adduktionsschwäche ausgeprägt ist. Patienten mit einer subtilen Parese haben möglicherweise keine Symptome oder klagen nur über verschwommenes Sehen bei exzentrischem Blick oder schnellem Wechsel des horizontalen Blicks. Da eine schräge Abweichung (die später besprochen wird) häufig mit Läsionen der MLF einhergeht, kann eine vertikale Diplopie eine weitere Beschwerde sein. Oszillopsie kann entweder durch den Abduktionsnystagmus oder einen gestörten vertikalen vestibulären Augenreflex verursacht werden.

Anzeichen. Der charakteristische Befund der INO ist die gestörte Adduktion des Auges (siehe Abb. 15.10). Es gibt ein breites Spektrum von Funktionsstörungen des medialen Rektus bei INO. Leichte Fälle können nur bei schnellen Augenbewegungen vom exzentrischen Blick zur Mittellinie sichtbar werden („medial rectus float“). Eine optokinetische Fahne, die entlang der horizontalen Ebene gezogen wird, kann langsame adduzierende Sakkaden im betroffenen Auge während der schnellen Phase des Nystagmus aufzeigen.32 Der Nachweis einer intakten Konvergenz bei INO belegt die supranukleäre Lokalisation der medialen Rektusschwäche und weist in der Regel auf eine Läsion der MLF innerhalb der Pons hin (Video 15.2). Im Gegensatz dazu können Patienten mit MLF-Läsionen in der Nähe des dritten Nervenkerns eine beeinträchtigte Konvergenz aufweisen. Einige Patienten mit INO haben jedoch eine schlechte Konvergenz aufgrund der vertikalen Fehlausrichtung, die durch die damit verbundene Schieflage entsteht. Daher ist das Fehlen der Konvergenz möglicherweise kein völlig zuverlässiges Zeichen für die Lokalisierung der Läsion in einem bestimmten Teil der MLF-Bahn.

Das Auge, das kontralateral zur MLF-Läsion liegt, zeigt typischerweise einen abduzierenden Nystagmus beim Endblick. Es gibt Hinweise darauf, dass dieser abduzierende Nystagmus ein adaptives Phänomen ist, mit dem versucht wird, die Innervation des schwachen adduzierenden Auges zu verstärken.33,34

Da die Otolithenbahnen durch die MLF verlaufen, wird bei einer INO häufig eine schiefe Abweichung und eine Kippreaktion des Auges beobachtet (siehe spätere Diskussion).35 Typischerweise befindet sich das hypertrope Auge auf der gleichen Seite wie die Adduktionsschwäche. Eine dissoziierte Form des vertikalen Torsionsnystagmus kann ebenfalls beobachtet werden, da die Verbindungen des hinteren Bogenganges gestört sind. Dies führt zu einem abwärts gerichteten Nystagmus im Auge ipsilateral zur MLF-Läsion und zu einem Torsionsnystagmus im kontralateralen Auge.36,37 Bilaterale Läsionen der MLF führen häufig zu zusätzlichen Augenbefunden, einschließlich einer beeinträchtigten vertikalen Verfolgung und einem aufwärts gerichteten Nystagmus in beiden Augen beim Aufblicken.38 Schwere bilaterale INOs können auch zu einer großwinkligen Exotropie im primären Blick führen, dem sogenannten „WEBINO“ (wall-eyed bilateral INO) (Video 15.3).39

Pathophysiologie. Die Axone für die MLF entspringen aus Interneuronen, die sich im Nucleus abducens vermischen (siehe Abb. 15.11). Diese Axone überqueren unmittelbar die Mittellinie und steigen in der MLF auf. Läsionen der MLF führen zu einer Beeinträchtigung der Adduktion des ipsilateralen Auges. Da auch andere wichtige Bahnen in der MLF verlaufen, kann eine Vielzahl anderer neuro-ophthalmologischer Anzeichen gefunden werden. Die aus dem Nucleus vestibularis stammende Utrikularbahn steigt in der MLF auf. Eine Unterbrechung dieser vestibulären Verbindungen führt zu einer ipsilateralen Hypertropie. Vestibuläre Informationen werden auch zum und vom inC weitergeleitet.34,38 Die Unterbrechung dieser Verbindungen im MLF, insbesondere wenn sie beidseitig sind, beeinträchtigt (1) das vertikale Streben, (2) den vertikalen vestibulären Augenreflex und (3) die vertikalen Blickhaltemechanismen.

Diagnose. Die Diagnose von INO ist in der Regel einfach, insbesondere wenn eine beeinträchtigte mediale Rektusdysfunktion beim seitlichen Blick mit normaler Konvergenz vorliegt. Es sollte sorgfältig nach anderen orbitalen Anzeichen gesucht werden, da isolierte mediale Rektusläsionen aufgrund lokaler Gegebenheiten, wie z. B. einer Einklemmung der extraokularen Muskeln, auftreten können. Eine Lähmung des dritten Nervs sollte in Betracht gezogen werden, und Ptosis, Mydriasis und eine Beeinträchtigung der vertikalen Augenbewegung sollten sorgfältig ausgeschlossen werden. Eine Exotropie infolge eines Schielens lässt sich durch das Vorhandensein vollständiger extraokularer Bewegungen beim seitlichen Blick und normaler Sakkaden bei Blick- oder optokinetischen Tests erkennen. Diesbezüglich ist jedoch Vorsicht geboten, da einige Patienten mit lang anhaltender Weitwinkelexotropie eine Adduktionsschwäche entwickeln können, möglicherweise auf restriktiver Basis, die eine INO imitieren kann. Myasthenia gravis kann selten eine INO imitieren (siehe Myasthenia gravis). Bei solchen Patienten gibt es oft Lidzeichen wie eine variable Ptosis, die auf diese Diagnose hindeuten.

Differenzialdiagnose. Ein einseitiges INO bei einem älteren Patienten resultiert in der Regel aus einem Hirnstamminfarkt, während ein beidseitiges INO bei einem jungen Patienten typischerweise auf einen demyelinisierenden Prozess wie Multiple Sklerose hinweist (Abb. 15.12). INOs aufgrund von Infarkten können durch einen Verschluss eines kleinen Gefäßes (Penetrator) oder durch eine Erkrankung eines großen Gefäßes mit Beteiligung der Arteria cerebri posterior, der Arteria cerebellaris superior oder sogar der Arteria basilaris verursacht werden.40 Sowohl bei ischämischen41-43 als auch bei demyelinisierenden Ursachen ist die Prognose für eine spontane Besserung über Wochen hinweg ausgezeichnet.

Eine Vielzahl von Läsionen kann jedoch mit INOs assoziiert sein, darunter vaskuläre Fehlbildungen, Tumore, Kopftraumata,44,45 Ernährungsstörungen wie die Wernicke-Krankheit, Stoffwechselstörungen wie hepatische Enzephalopathie, strukturelle Anomalien (Arnold-Chiari-Malformation),46 und degenerative Erkrankungen, insbesondere die progressive supranukleäre Lähmung.

Bei vielen Patienten mit einer INO lässt sich im MRT eine Läsion der MLF im Mittelhirn oder in der Pons nachweisen,47 aber aus unklaren Gründen erscheint der Hirnstamm oft normal.

Variationen. Die Kombination einer INO mit einer ipsiversiven konjugierten Lähmung ist ein pontines „Eineinhalb“-Syndrom aufgrund der gleichzeitigen ipsilateralen Beteiligung des PPRF (oder des VI. Nervenkerns) und der MLF (siehe Kapitel 16 und Abbildungen 16.7 und 16.8). Eine Schädigung der MLF zusätzlich zu den kortikospinalen Bahnen führt zum Raymond-Cestan-Syndrom, das durch eine INO und kontralaterale Hemiparese gekennzeichnet ist.48 Selten haben Patienten mit beeinträchtigter Abduktion auch einen adduzierenden Nystagmus. Dies wird manchmal als posteriores INO von Lutz bezeichnet.49 Diese Kombination von Augenzeichen resultiert höchstwahrscheinlich aus einer Abduktionslähmung, wobei der adduzierende Nystagmus eine adaptive Reaktion darstellt.

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