DISKUSSION
Das vorgestellte klinische Audit hat tiefgreifende wissenschaftliche Grenzen, da es sich nur um eine grobe Beobachtungsstudie handelt. Der postmortale Zustand der geöffneten Augen kann erhebliche negative Folgen für das Gedächtnis und den Ruf des Verstorbenen haben. Die soziale, kulturelle und persönliche Bedeutung dieses einfachen klinischen Zeichens ist für einige gleichbedeutend, daher ist es ein Phänomen, das weitere Untersuchungen verdient.
Direkte/indirekte Beteiligung des zentralen Nervensystems, z.B. zerebrale Metastasen oder hepatische Enzephalopathie, scheint ein wichtiger Einflussfaktor auf die Position der Augenlider beim Tod zu sein. Religionszugehörigkeit, Unruhe im Endstadium, Medikation, Todeszeitpunkt und bekannte (und beobachtete) psychologische und verhaltensbezogene Faktoren des Patienten und der Familie scheinen nicht eindeutig damit zusammenzuhängen.
Die Beobachtung, dass nur 63 % der Hospizpatienten mit vollständig geschlossenen Augen starben, mag überraschen, aber vielleicht nur wegen der geringen Anzahl an Literatur. Das mag daran liegen, dass die medizinische Kunst des „Lidbeobachtens“ verloren gegangen ist.
Das vollständige Schließen der Augen beim Tod suggeriert Ruhe, Gelassenheit und einen angenehmen „Lebensabschluss“. Im Gegensatz zu einigen Tieren, wie z. B. Rindern, haben die meisten Menschen im Schlaf geschlossene Augenlider. Der Schlaf lässt sich nur schwer einleiten, es sei denn, es kommt zu einer beidseitigen Lidtotose, die bis in den Pupillenbereich reicht. Dadurch wird die Sehbahn verschlossen und der Zufluss von aktivierenden sensorischen Informationen unterbrochen. Der Levatorentonus ist mit Beginn des Schlafs und der Schläfrigkeit vermindert. Eine Aufwärtsdrehung des Auges beim Fallen der Augenlider schränkt den visuellen Einstrom weiter ein und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Schlaf eingeleitet wird. Die Augenlider kontrollieren die Eintrittspforte zum wichtigsten Sinnesorgan für die Wahrnehmung der äußeren Umgebung und sind eng mit den grundlegenden Prozessen des Gehirns selbst verbunden.
Der vollständige Lidschluss resultiert aus der Einschnürung des Musculus orbicularis oculi (der vom Nervus facialis innerviert wird) und der Verlagerung des Levator palpebrae superior (der vom Nervus oculomotorius innerviert wird). Die Rolle der Unterlider bei diesem Prozess ist weniger gut verstanden. Die zervikalen Sympathikusnerven versorgen den Müller-Muskel, aber die Rolle dieses Muskels in diesem äußerst komplexen Prozess ist ungewiss.
Die Augenlider, insbesondere die Oberlider, funktionieren als sensorischer Gating-Mechanismus, der von den Gesichts-, Okulomotorik- und Sympathikusnerven gesteuert wird, die vorwiegend auf der Ebene des Mittelhirns orchestriert werden, aber sowohl durch willkürliche als auch durch reflexartige Aktivitäten beeinflusst werden. Stimulationen und Läsionen des Mittelhirns und des Zwischenhirns können beim Menschen das Öffnen und Schließen der Augenlider bewirken. Eine Schädigung dieses Systems auf mehreren anatomischen Ebenen kann zu klinischen Symptomen führen. Bilaterale Ptose kann durch eine Schädigung des Nucleus levator im dorsalen Teil des okulomotorischen Kernkomplexes im Mittelhirn entstehen, während einseitige oder bilaterale Ptose durch eine einseitige temporale, temporoparietale oder bilaterale Frontallappenerkrankung auftreten kann. Der Augenschluss ist ein aktiver Prozess und hängt von einem funktionierenden ZNS ab. Ein vollständiger Augenschluss ist im Schlaf, im Koma und im Tod üblich.
Clemmensen hat gezeigt, dass bei akuter hepatischer Enzephalopathie eine Hirnstammhernie durch einen Anstieg des intrakraniellen Drucks (ICP) als Folge eines zytotoxischen Hirnödems verursacht wird. Augenzeugenberichte über den Tod von Timothy McVeigh berichten, dass er vor dem Tod „gelb“ wurde, was vermutlich auf das Hinrichtungsmedikament zurückzuführen ist. Er war zweifellos ein böser Mensch, aber ein solches Verhalten ist nicht die wahrscheinliche Erklärung dafür, dass er mit offenen Augen starb.
Erhöhter Hirndruck, fokale strukturelle Läsionen des Mittelhirns in Verbindung mit terminalen Hirntumoren und hepatische Enzephalopathie und nicht psychologische oder soziale Einflüsse sind eine zwingendere Erklärung für Menschen, die mit offenen Augen sterben. Albträume und Nachtangst treten während des Schlafs (mit geschlossenen Augen) auf, was darauf hindeutet, dass das Schließen der Augen nicht unbedingt mit Ruhe gleichzusetzen ist, obwohl die meisten Angehörigen der Verstorbenen dies so wahrnehmen. Es mag sein, dass die meisten von uns im Schlaf sterben (unabhängig von der Tageszeit), nachdem sie die neurophysiologische Fähigkeit und Energie hatten, zunächst ihre Augen zu schließen. Diejenigen, die dazu nicht in der Lage sind, sind keine „Sünder“ oder „böse“, sondern eher neurologisch beeinträchtigt.
Weitere Studien sind erforderlich, um zu bestätigen, dass die wahrscheinliche Ursache für das Versagen des vollständigen Lidschlusses beim Tod organischer und nicht psychogener Natur ist.