1 Einleitung

Im Vergleich zu parenteralen Verabreichungswegen verbessert die enterale Verabreichung, einschließlich der oralen, sublingualen und rektalen Verabreichung, die Patientencompliance, da sie nicht invasiv, schmerzlos, im Allgemeinen sicher und wirtschaftlich ist (es ist keine spezielle persönliche Schulung erforderlich, und es ist keine vorherige Sterilisation des Medikaments erforderlich). Auch die Selbstverabreichung ist bei dieser Art der Verabreichung von Vorteil, da der Patient direkt an der Behandlung teilnimmt und die Wahrnehmung der Wirksamkeit steigt. Aus diesen Gründen ist die enterale Verabreichung der häufigste Verabreichungsweg für verschriebene Arzneimittel. So werden beispielsweise von den 200 am häufigsten verschriebenen Medikamenten in den USA 83 % oral verabreicht. Die am häufigsten verschriebenen therapeutischen Arzneimittel sind Analgetika, Lipidsenker, Antibiotika und Antidepressiva, die am häufigsten rezeptfrei erworbenen Arzneimittel sind Schmerzmittel, Husten- und Erkältungsmittel sowie Hautbehandlungen . Aufgrund ihrer hohen Herstellungskosten werden die Spitzenplätze in der pharmazeutischen Industrie von Unternehmen eingenommen, die therapeutische monoklonale Antikörper herstellen.

Dieser Verabreichungsweg wird jedoch nicht für Wirkstoffe empfohlen, die empfindlich auf sauren Abbau reagieren oder deren Wasserlöslichkeit oder Permeabilität durch die Darmschleimhaut begrenzt ist (z. B. Peptide, therapeutische Proteine usw.). Das Biopharmaceutical Classification System (BCS) of Drugs sortiert die verschiedenen Arzneimittel a priori nach ihrer Löslichkeit und Permeabilität bei oraler Verabreichung, und dieses System kann als Prädiktor für die Bioverfügbarkeit von Arzneimitteln verwendet werden (Abb. 1). Etwa 70 % der neuen Arzneimittelkandidaten werden als Klasse II (nach dem BCS) eingestuft, und etwa 40 % der vermarkteten oralen Arzneimittel mit sofortiger Wirkstofffreisetzung werden als praktisch unlöslich eingestuft.

Abb. 1. Klassifizierung von Arzneimitteln nach dem Biopharmaceutical Classification System (BCS).

Die orale Bioverfügbarkeit von freiem Insulin für den systemischen Kreislauf beträgt beispielsweise weniger als 1 %, was auf seinen sauren Abbau, das Vorhandensein von proteolytischen Enzymen und seine geringe Durchlässigkeit durch das Darmepithel zurückzuführen ist. Diese physikalisch-chemische Barriere, die aus den vier Schichten Mucosa, Submucosa, Muscularis externa und Serosa (oder Adventitia) besteht, verhindert, dass pathogene Antigene und Mikroorganismen in den systemischen Kreislauf gelangen. Ein weiterer Nachteil von oral verabreichten Arzneimitteln besteht darin, dass die Magenentleerungszeiten bei den Patienten je nach Alter, Nahrung, Geschlecht und dem Vorhandensein bestehender Pathologien variieren, was zu unterschiedlichen Absorptionsraten des Arzneimittels führt.

Außerdem beeinträchtigt der First-Pass-Metabolismus die effektive Arzneimitteldosis, die das Zielorgan erreicht, aufgrund der Magenverdauung und des enzymatischen Angriffs im Magen-Darm-Lumen (d.h., Pepsin und Lipase im Magen und Proteasen und Lipasen im Darm) und in der Darmwand zusammen mit den abbauenden bakteriellen und hepatischen Enzymen. Bei der enteralen Verabreichung werden sublinguale und rektale Verabreichungswege genutzt, um diesen chemischen und enzymatischen Abbau zu verringern und so die Bioverfügbarkeit zu verbessern.

Der pharmazeutische Wirkstoff kann durch Zugabe von Proteaseinhibitoren zur Verringerung des enzymatischen Abbaus oder durch Verwendung von gastroprotektiven Überzügen erhalten werden, während die Permeation durch das Darmepithel durch die Verwendung von Permeationsverstärkern gefördert werden kann. Magensaftresistente Überzüge oder gemischte Matrizes auf der Grundlage dieser Verbindungen wurden verwendet, um den Wirkstoff in Form von Kapseln, Tabletten, Partikeln, Granulaten und Pellets vor dem Abbau im Magen zu schützen. Dieses Forschungsgebiet hat in den letzten 20 Jahren enorme Aufmerksamkeit auf sich gezogen und ist rasch und exponentiell vorangeschritten (Abb. 2).

Abb. 2. Anzahl der Datensätze (record count = 3815) im Zeitverlauf, abgerufen von Web of Science (©2019 Clarivate) am 28. März 2019 mit den Stichworten: „oral drug delivery“ oder „enteric delivery“ oder „enteric drug“ oder „enteric coating“ oder gastroprotection.

Natürliche Polymere wie Schellack, Alginat, Gelatine, Chitosan, Guar Gum, Xanthan Gum, Stärke oder Zein wurden verwendet, um Wirkstoffe vor dem Abbau im Magen zu bewahren oder den Magen vor der Wirkung bestimmter Medikamente zu schützen (z.B., wiederholte Verabreichung von Aspirin, das Magenblutungen verursacht) zu schützen, indem man ihn umgeht. Unter allen synthetischen Polymeren, die zum Schutz des Magens verwendet werden, sind Methylacrylat-Methacrylsäure-Copolymere, Hydroxypropylmethylcellulose (HPMC)-Derivate und Polyvinylderivate am häufigsten. Die meisten dieser natürlichen oder synthetischen Polymere (oder Mischungen) enthalten ionisierbare Carboxylgruppen, die sie unter Magenbedingungen unlöslich machen und im Darmmilieu ionisieren, wobei sie sich durch Salzbildung mit Alkalien oder Aminen auflösen und die Fracht freisetzen. Andere modifizierte Polymere mit quaternären Ammoniumgruppen widerstehen dem Abbau im Magen und lagern sich an die Darmschleimhaut an, wo sie langsam permeabilisiert und erodiert werden, was zu einer zeitgesteuerten, pH-unabhängigen, gezielten Freisetzung der enthaltenen Ladung führt. Daher stehen magensaftresistente Beschichtungen oder Beschichtungen mit verzögerter Freisetzung zur Verfügung, um das Arzneimittel oder die Magenschleimhaut zu schützen und eine verzögerte Freisetzung des Wirkstoffs an einer bestimmten Stelle des Darms zu erreichen. Je nach Art der verwendeten magensaftresistenten Beschichtung ist somit eine zeitliche oder räumliche Wirkstofffreisetzung möglich.

Wie bereits erwähnt, dämpfen diese magensaftresistenten Beschichtungen die lokale Reizwirkung einiger Arzneimittel auf die Magenwand und die damit verbundenen Nebenwirkungen (d.h. Verdauungsstörungen, Übelkeit, Völlegefühl und Unwohlsein im Magen, Appetitlosigkeit und Übelkeit). So sind beispielsweise magensaftresistente Beschichtungen von Aspirin seit den 50er Jahren im Handel erhältlich. Azole (z. B. Omeprazol), die als Protonenpumpenhemmer bei der Behandlung von Magengeschwüren, der gastroösophagealen Refluxkrankheit und verwandten Krankheiten eingesetzt werden, sind gastroprotektiert, um eine saure Aktivierung im Mund und in der Speiseröhre zu vermeiden und eine kontrollierte Aktivierung nur im Magen zu erreichen. Mehrere nichtsteroidale Antirheumatika (NSAIDs) wie Diclofenac-Natrium werden häufig zur Behandlung rheumatischer und entzündlicher Erkrankungen eingesetzt, aber dieses Molekül wird schnell zu einem Indolinon-Derivat abgebaut, weshalb ein Magenschutz empfohlen wird. Außerdem sind Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre häufige Nebenwirkungen von NSAIDs, und es wird empfohlen, sie durch magensaftresistente Beschichtungen oder pH-unabhängige Systeme mit verzögerter Freisetzung zu schützen.

Budesonid ist ein weiteres Beispiel für ein gängiges Kortikosteroid, das bei Patienten mit Morbus Crohn eingesetzt wird. Das Medikament wird in der Regel mit gastroresistenten Polymeren beschichtet, um eine gezielte Abgabe im Dünndarm und im proximalen Dickdarm zu erreichen.

Einige Medikamente können je nach ihrem Wirkort gastroprotektiert werden. So wird beispielsweise Sulfasalazin als Erstbehandlung bei rheumatoider Arthritis eingesetzt, und um seine schnelle systemische Absorption zu begünstigen, werden keine Überzüge verwendet. Bei der Behandlung von entzündlichen Darmerkrankungen (IBD), Colitis ulcerosa und Morbus Crohn wird jedoch ein gastroprotektiver Überzug in die Formulierung aufgenommen, um eine gezielte Aufnahme im Darm zu erreichen.

Nutrazeutika und lebende Bakterien (z. B. Aminosäuren, probiotische Bakterien, Vitamine usw.) und Nahrungsergänzungsmittel sind ebenfalls gastroprotektiert. So sind beispielsweise gastroprotektive Nahrungsergänzungsmittel wie Kaliumchlorid zur Behandlung von Hypokaliämie im Handel erhältlich. Die am häufigsten von den Verbrauchern gekauften Nutrazeutika (in den USA als Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittelzusatzstoffe geregelt) sind Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel, Produkte zur Gewichtskontrolle und Sporternährungsergänzungsmittel. Die gängigsten Probiotika sind Gram-positive, Milchsäure produzierende Bakterienstämme der Gattungen Bifidobacteria und Lactobacillus. Obwohl diese Bakterien einer sauren Umgebung widerstehen, wird die zelluläre Lebensfähigkeit dieser milchsäureproduzierenden Bakterienstämme nach Kontakt mit Magenflüssigkeit verringert. So wurde beispielsweise für Lactobacillus fermentum CECT 5716 nach 2-stündiger Exposition gegenüber simulierter Magenflüssigkeit (SGF) bei einem pH-Wert von 1 eine Verringerung der KBE-Zahl um 4 log10 festgestellt. Eine Verringerung der zellulären Lebensfähigkeit um 5 log wurde auch für Lactobacillus casei NCIMB 30185 nach 2-stündigem Eintauchen in SGF (pH 1,8) festgestellt. Viele andere Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittelzusatzstoffe werden gastroprotektiert, um ihre biologische Aktivität zu erhöhen. So wurde beispielsweise für natürliche Antioxidantien wie Catechine unter SGF eine Abbaukinetik erster Ordnung beobachtet, und es wurde über eine verbesserte chemische und metabolische Aktivität nach ihrem Schutz durch Methylacrylat-Methacrylsäure-Copolymere berichtet. Natürlich vorkommende Nahrungsergänzungsmittel wie Resveratrol wurden in mesoporöses Siliziumdioxid (z. B. MCM-48) eingekapselt und ihre In-vitro-Zytotoxizität bewertet, wobei sich für das nanoverkapselte Polyphenol eine bessere zytotoxische Wirkung und entzündungshemmende Aktivität als für die freie Verbindung zeigte. Einige Nutrazeutika werden als Coadjutantien verwendet, um die onkolytische Wirkung von Chemotherapeutika gegen Darmkrebszelllinien zu verbessern. In diesem Zusammenhang verwendeten Kamel et al. Zimtaldehyd und Rosmarinsäure als Nutrazeutika natürlichen Ursprungs, die in festen Lipid-Nanopartikeln formuliert wurden, die mit 5-Fluoracil beladen und an der Oberfläche mit Chitosan funktionalisiert waren, um den Dickdarm zu erreichen. Diese Kombination führte zu synergistischen Effekten gegen humane Kolonkarzinom-Zelllinien (HCT-116) und zu einer starken Unterdrückung des mitochondrialen Membranpotenzials mit den Nutrazeutika in ihrer freien Form oder verkapselt in den festen Lipid-Nanopartikeln.

Unterschiedliche Formulierungsverfahren zielen auf die Stabilisierung und Solubilisierung des pharmazeutischen Wirkstoffs im Gastrointestinaltrakt ab, aber eine gezielte Freisetzung an einem bestimmten Ort ist immer noch eine Herausforderung. Die Nanotechnologie zielt darauf ab, diesen ungedeckten Bedarf zu decken.

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